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Bürgerbeteiligung zum „Ostfeld“

Bürgerbeteiligungsprozesse sind nicht nur eine löbliche und fachlich einzufordernde Angelegenheit, wenn es um Stadtplanungsprozesse geht. Aus der Sozialraumforschung geht eindeutig hervor, dass Bürgerbeteiligungsprozesse als Grundlage demokratischer Gesellschaftsentwicklung kaum mehr wegzudenken sind.

Bürgerbeteiligungen sind ein demokratischer Prozess und als solchem unterliegen ihre verschiedenen Methoden wissenschaftlichen Rahmenbedingungen. Insbesondere auch um auszuschließen, dass sich gegebene Interessens- und Machtverhältnisse reproduzieren und um sicher zu stellen, dass angebrachte Kritik inhaltliche Relevanz und Raum erhält – gerade wenn die kritischen Stimmen von Betroffenen stammen.

Schnell können aber Methoden der Bürgerbeteiligung als strategische Einbindung von vermeintlichen „Herrschaftssystemen“ missbraucht werden.[1] Dann gewinnt die Bürgerbeteiligung leider nicht als demokratischer Ansatz an Relevanz, sondern verkommt im schlimmsten Fall zu einem wohl inszenierten und unkritischen Instrument des Machterhalts.

Für Interessierte:
– IAP2 (International Association for Public Participation): Spectrum of Public Participation
– bpp (Bundeszentrale für politische Bildung): „Ehernes Gesetz der Oligarchie“: Ist Demokratie möglich?
– Michael Wilk, Bernd Sahler (Hrsg.), 2014: Strategische Einbindung: von Mediationen, Schlichtungen, runden Tischen

Am Beispiel des Bauvorhabens „Ostfeld“ in Wiesbaden folgen nun drei kleine Kritikansätze zu den von der Stadtentwicklungsgsesellschaft (SEG) bereits durchgeführten und selbst hochgelobten, aber von Teilnehmerseite schwer in der Kritik stehenden Bürgerbeteiligungen. Die Workshops werden von professionellen, von der Stadt bezahlten, Büros durchgeführt, so dass Kritik an der Durchführung auf diese abgeschoben werden kann.

Für die Aufzeichnung von kritischen Einwänden und für den Umgang mit diesen, gibt es – im Unterschied zu rechtlich verankerten Bauleitverfahren – keine Festlegungen, so dass man nicht einklagen kann, dass die vorgetragene Kritik nirgendwo aufgezeichnet oder gar berücksichtigt wurde.

dein.wiesbaden.de – Internetseite der Stadt Wiesbaden zur Bürgerbeteiligung: „Ostfeld – ein neuer Stadtteil für Wiesbaden wird geplant“

Auf dein.wiesbaden.de ist zu entnehmen: „Einen wesentlichen Teil des Planungsprozesses nimmt hierbei eine intensive Beteiligung der Wiesbadener Bürgerinnen und Bürger ein. Allein für die Bürgerbeteiligung sind 400.000 Euro veranschlagt.“

Bürgerbeteiligungen retrospektiv aus der Sicht von Bürgern

1. Workshoperfahrungen

Auf einer dieser Bürgerbeteiligungsveranstaltung wurde von der Stadtentwicklungsgesellschaft eingeladen. Es wurden 3 Bebauungspläne vorgestellt und den Bürgern zur Abstimmung überlassen.

Beteiligte Bürger geben folgende Kritik zu bedenken. Es folgen Zitate von Beteiligten aus dem Bündnis Stadtklima:

„Die Varianten 1 und 2 (mit Bebauung der Einflugschneise des Militärflugplatzes) wurden von allen Anwesenden und sachkundigen Laien als Unfug klassifiziert. Das ‚erstaunliche‘ Ergebnis des Workshops, so wurde es von der SEG verkündet, sei die Entscheidung für Variante 3 gewesen, die fortan als ‚von allen bevorzugte‘ Variante ‚verkauft‘ wurde.“

„Auch für die Ortsbeiratsmitglieder von Mainz-Kastel, Mainz-Amöneburg, Biebrich, Erbenheim und Südost gab es einen Workshop. Also fast 70 Personen hätten kommen können. Es waren 10 (!) gekommen. Auch hier wurden wieder mehrheitlich Einwände gegen die Ostfeld-Pläne vorgebracht. Wir hatten Mühe, dass die Moderation wenigstens entsprechende Zettel auf der Pinnwand anpiekst. In weiteren Propaganda-Veranstaltungen der SEG blieb davon nur übrig, dass auch ‚die betroffenen Ortsbeiräte intensiv beteiligt wurden‘.“

„Ich habe zum einen am ‚Workshop‘ zum Ostfeld teilgenommen, an dem nach Anmeldung und Bestätigung durch die SEG Bürger*innen teilnehmen konnten. Dieser fand im Außenbereich des Gymnasiums am Mosbacher Berg statt. ‚Workshops‘, wie sie in letzter Zeit von der Stadt durchgeführt werden, haben für die Planer den Vorteil, dass sie frühzeitig erfahren, wer die ‚Andersmeinenden‘ sind, mit welchen Argumenten sie argumentieren und wie man deren Wirkung begrenzen kann.“

„Auf die Frage an den von der Stadt/SEG bezahlten Planer Prof. Pesch, wie viele Wohnungen als zusätzlicher Bedarf durch die im Planungsgebiet geplanten 9.000 Arbeitsplätze entstehen, antwortete Prof. Pesch ‚etwa ähnlich viele‘. Denn auf jeden Arbeitsplatz kommt ein Mensch, der (sei es als Single, sei es mit Familie – durchschnittlich etwas mehr als 2 Menschen) in der Nähe eine Wohnung braucht. Die geplanten 4.750 Wohnungen würden also den zusätzlichen Bedarf durch die geplanten 9.000 Arbeitsplätze nur etwa zur Hälfte decken. Die Wohnungsnot würde durch sich durch die geplanten Arbeitsplätze verschärfen. Das wäre selbst dann der Fall, wenn das BKA nach Erbenheim käme, weil an den frei werdenden BKA-Standorten mindestens überwiegend neues Gewerbe angesiedelt würde.“

„Die ganze Bürgerbeteiligung wurde mit einer groß inszenierten Abschlussveranstaltung im Roncallihaus beendet. Dort wurde mit Schautafeln zu den verschiedenen Aspekten durch städtische Bedienstete, vor allem durch die SEG und das beauftragte Stadtplanungsbüro Pesch das Publikum ‚informiert‘. Nur ganz wenigen Anwesenden, war es möglich, am Schluss der Veranstaltung eine Frage im Plenum zu stellen.“

2. Bürgerbeteiligung Umfrage

In einer zweiten Methode des Bürgerbeteiligungsprozesses kursierte für eine gewisse Zeit eine Online-Umfrage. Diese sei angeblich von der Hochschule Rhein-Main (HSRM) in Auftrag gegeben, wurde aber weder auf dem dafür üblichen Umfragetool der HSRM durchgeführt noch war diese angebliche Projektgruppe von darauf angesprochenen Professoren der Hochschule auffindbar.

Eine am Ende der Umfrage eingeblendete E-Mail-Adresse bat die Möglichkeit zu Rückfragen.

Da die Umfrage nicht angibt mit/nach welchen Kriterien und mittels welcher wissenschaftlichen Methoden die Auswertung erfolgt, wurde hier nachgefragt. Auf Nachfrage bei den online angegebenen Studenten erfolgte keine tragende und aufklärende Korrespondenz. Auf die Nachfrage was mit den Ergebnissen geschieht, wurde von den angeblichen Studenten angegeben dass die Ergebnisse dem Stadtrat Hans-Martin Kessler vorgelegt werden sollen.

Bei Nachfrage beim Dekan der Hochschule war keine derartige Arbeits- oder Forschungsgruppe bekannt. Bei weiterer, wissenschaftlicher Kritik seitens der Teilnehmenden, wurde die Umfrage ohne weiteren Kommentar vom Netz genommen.

Sollte diese Umfrage das Ergebnis einer studentischen Arbeitsgruppe sein, die ihre Forschungsaufgaben noch lernt zu reflektieren, wäre hier die Kritik angebracht, dass die Lernprozesse ebenso öffentlich in ihrem Ergebnis sein sollten, wie die öffentliche Umfrage selbst.

Die in der Umfrage gestellten Fragen folgen einem suggestiven Muster und ermöglichen keine nachträgliche Einsicht der eigenen Antworten. Die Fragen sind eindeutig aus der Position der Befürworter gestellt. Mit dieser Umfrage wäre es auch möglich, die Frage als Kritiker zu beantworten, um am Ende als Befürworter dargestellt zu werden.

Auch wurde kein Studiengang benannt. Als zuständiger Lehrbeautragter wurde ein Herr Thomas Pier angegeben, der nicht im Intranet der HSRM als Lehrbeauftragter zu finden ist. (Wer dieser Thomas Pier ist, finden Sie hier, was wiederum einige Fragen aufwirft.)

Herr Dekan Reymann hat bisher eine Stellungnahme verzögert.

Was wäre mit den Daten dieser unwissenschaftlichen Umfrage geschehen? Hätte man ohne Nachfragen wohl erfahren müssen, dass alle Teilnehmenden für eine gute medizinische Versorgung vor Ort sind und deshalb sämtliche Risiken, die mit der Bebauung in klimarelevantem Gebiet ein her gehen, auch für zukünftige Generationen mit tragen?

Hier sind Screenshots der dann zurückgerufenen Umfrage zu sehen:

Hier die Screenshots der Umfrage als .pdf zum Herunterladen.

3. „IMPULSE für das Ostfeld“ – Wiesbaden: Die Online-Veranstaltung mit Projektleiter Joachim Mengden und SEG-Geschäftsführer Roland Stöcklin am Dienstag, 18. August 2020, 18:00 – 19:30

Eine interessante, durchaus psychologische Konzipierung der Online-Veranstaltung gibt Raum für Kritik. Diese Online-Veranstaltung wurde beworben, als eine in der Teilnehmende die Möglichkeit haben ihre Fragen direkt zu stellen und beantwortet zu bekommen. Nun war das Browser-Fenster der Veranstaltung so aufgeteilt, dass die Teilnehmenden in einer Seitenleiste ihre Fragen einpflegen konnten. Im Grunde wäre es doch gut zu sehen welche ähnlichen Fragen schon gestellt wurden um Dopplungen zu meiden. Das Gegenteil war der Fall.
Diese Segregation führte nach 45 Min. zu sinngemäß folgender Aussage (der genaue Wortlaut ist wohl der SEG-eigenen Aufnahme zu entnehmen):

Roland Stöcklin: „Ich freue mich über die vielen Fragen die hier eingehen. Es sind jedoch die meisten Fragen von einer einzigen Person. Aus Rücksicht auf andere Teilnehmer bitte ich denjenigen sich bitte zusammenzureißen um anderen auch die Möglichkeit zu geben sich zu beteiligen.“

Jede/r Beteiligte dachte er/sie sei Derjenige der bisher alleine alle Fragen stellt.

Alle Teilnehmenden sahen nur ihre eigene Frage, da das Tool so eingerichtet war. Das stellte sich bald heraus, da mehrere Teilnehmende untereinander vernetzt waren und ausschließlich ihre eigenen aber nicht die Fragen der anderen Teilnehmer sehen konnten.

Eine sehr interessante, psychologisch manipulative Rhetorik könnte hier am Werk sein. In demokratischen Verhältnissen wäre dies jedoch tief zu verachten. Vor allem angesichts der heutigen Entscheidungen, die mitten im Klimawandel darüber entscheiden werden, wer nochmal richtig viel Geld verdient, aber vor allem: ob wir, die Gesamtbevölkerung, in Zukunft noch gesund leben können.

Sämtliche Teilnehmer wurden mit ihren Namen und Fragen erfasst. Eine wunderbare Vorbereitungsgrundlage für kommende, rhetorisch zu lösende Fragerunden.


[1]    Vgl. z.B. „Stragegische Einbindung“ 2014 Hrsg. Michael Wilk, Bernd Sahler