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Klimakarten der Stadt Wiesbaden – nur Beschäftigungstherapie für das Umweltamt?

Klimakarten der Stadt Wiesbaden – nur Beschäftigungstherapie für das Umweltamt?

„Die Klimakrise ist eine der größten Bedrohungen der heutigen Zivilisation. Ihre Auswirkungen werden unumkehrbar und nachhaltig die Grundlagen menschlichen Lebens verändern. […] Die Folgen des Klimawandels betreffen auch Wiesbaden.“
(Zitiert aus dem Beschluss zum Klimanotstand der Stadt Wiesbaden von 2019.) 

Die Klimakrise ist unumstritten, ihre Auswirkungen sind bereits jetzt greifbar. Klimaschutz ist eine Seite der Medaille, mit der wir dieser Krise begegnen müssen, Klimaanpassung die andere. Denn selbst, wenn wir weltweit alle Klimaschutzziele umsetzen könnten, dann ist doch jetzt schon die Krise so weit vorangeschritten, dass wir ohne Anpassungsmaßnahmen die Lebensqualität in unserer Stadt nicht mehr sicherstellen können. 

Doch genau hier klafft im Klimanotstandsbeschluss der Stadt Wiesbaden eine große Lücke. Denn er fordert „nur“ Klimaschutz, die dringend notwendige Anpassung bleibt außen vor.

Dabei sind viele Vorarbeiten für die Klimaanpassung längst getan: Mit diversen Klimakarten, die unter anderem auf Studien des Hessischen Landesamts für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) und des Deutschen Wetterdienstes (DWD) beruhen, hat das Umweltamt der Stadt Wiesbaden klare Bewertungsgrundlagen für stadtplanerische Maßnahmen verfasst. 

Stadt zieht keine Konsequenzen aus den Klimakarten

Konsequenzen aus den deutlichen Aussagen, die diese Karten hergeben, zieht die Stadt Wiesbaden jedoch nicht. Stattdessen räumte Umweltdezernent Andreas Kowol kürzlich in einem Antwortschreiben an die BI Grüne Zukunft Freudenberg in Bezug auf die Bebauung des HSK-Geländes ein: 

„Die Klimabewertungskarte stellt eine Abwägungsgrundlage in Bauleitplanverfahren dar zusammen mit dem Landschaftsplan und den zum Landschaftsplan erarbeiteten Gutachten und Inhalten. Im Falle eines bestehenden Bebauungsplanes hat sie keine direkte Rechtswirksamkeit, sondern einen reinen Hinweischarakter zu den klimaökologischen Wertigkeiten vor Ort bzw. im räumlichen Zusammenhang.“ 

Diese ernüchternde Feststellung ist nur die halbe Wahrheit, denn auch im Fall von Bebauungsplänen, die erst jüngst Rechtskraft erlangten, spielten die Warnungen der Klimabewertungskarte offenbar keine Rolle. 

Bauen als gäbe es kein Morgen

So ist zum Beispiel das Gebiet, auf das sich der Bebauungsplan „Gräselberg – Auf den Eichen“ bezieht, zum größten Teil Vorrangzone mit „großer Bedeutung für die Abkühlung und Belüftung, hohe Empfindlichkeit. Planungshinweis: Umnutzungen nur in Ausnahmefällen unter strengsten Auflagen.“ 

Für das Gelände des Bebauungsplans am Osthafen Schierstein gilt sogar die Kategorie Sanierungszone: „Hohe bis sehr hohe stadtklimatologische Vorbelastung, hohe Empfindlichkeit. Planungshinweis: Entsiegelungen und intensive Begrünungen, keine weiteren baulichen Verdichtungen und Versiegelungen.“

Der aktuell im Verfahren befindliche Bebauungsplan „Hauptklärwerk“ (Hammermühle, Biebrich) betrifft ebenfalls ein Gebiet, das für Bebauungen kritisch eingestuft wird. Das gleiche gilt für weite Teile des Ostfelds, das klimatologische Bedeutung für viele tausend Menschen in Wiesbaden und auch Mainz hat. 

Doch Auswirkungen hat das alles nicht auf die Stadtplanung in Wiesbaden. Es wird im wahrsten Sinne des Wortes gebaut, als gäbe es kein Morgen. Die Arbeit des Wiesbadener Umweltamts am „Klima-Kartenwerk“ hat damit nicht mehr als die Qualität einer sinnlosen Beschäftigungstherapie. Alle Warnhinweise der Klimabewertungskarte verkommen ebenso zu leeren Worthülsen wie der mit großem Tamtam von der Stadt Wiesbaden bereits 2019 ausgerufene Klimanotstand.

Nicht „nur“ Klimaschutz – auch Klimaanpassung

Nähme die Stadt Wiesbaden den Klimanotstand ernst, wäre er auch in Sachen Klimaanpassung längst verbindliche Grundlage für jede einzelne Baumaßnahme in Wiesbaden. Hierzu reicht nicht die diffuse Anweisung im Klimanotstandsbeschluss „Alle klimarelevanten Vorhaben, Projekte und Prozesse […] zu identifizieren, hinsichtlich ihrer Klimafolgen zu bewerten und mit Blick auf ihren Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele sowie auf Optimierungspotenziale und ggf. Kompensationsmöglichkeiten zu prüfen.“ Die ebenfalls in einem Ballungsgebiet dringend notwendigen Klimaanpassungsmaßnahmen zum Erhalt der Lebensqualität blendet der Beschluss zum Klimanotstand aus. Und selbst in Bezug auf den Klimaschutz ist der Wiesbadener Klimanotstand ganz offenbar bislang ein zahnloser Tiger. 

Das Bündnis Stadtklima erneuert darum die Forderung, endlich verbindlich Klimaschutz und -anpassung in Wiesbaden umzusetzen und die fachliche Bewertung der Klimakrise in verbindliche Maßnahmen für unsere Stadt münden zu lassen.