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„Doch wieder eine Citybahn? Ernsthaft?!“

„Doch wieder eine Citybahn? Ernsthaft?!“

Presseerklärung der Aktionsgemeinschaft “Hände weg von Os/Ka” vom 24. August 2022

Hände weg von Os/Ka: Das wird eine Geisterbahn. Außerdem: Neues vom Bahnhof Erbenheim und Goldrausch in der Immobilienbranche.

Roland Stöcklin, Geschäftsführer der Stadtentwicklungsgesellschaft (SEG), wurde unlängst in der Presse zitiert, dass es in Wiesbaden wieder eine Straßenbahn geben werde. [1] Der Kontext? Die Anbindung des Wohngebiets am Ostfeld. Überrascht zeigt sich die Aktionsgemeinschaft „Hände weg von Os/Ka“, ist doch die „Citybahn“ im November 2020 mehrheitlich von den Wiesbadener*innen abgelehnt worden.

Das ist aber nur eine der Merkwürdigkeiten die an die Oberfläche tritt. „Seit wann verkünden Geschäftsführer der SEG, wie sich der Wiesbadener Nahverkehr entwickelt? Gibt es in Wiesbaden einen Staat im Staate? Gilt in der Landeshauptstadt nicht mehr das Primat der Politik?“ fragt Philipp Pfefferkorn, Sprecher der Aktionsgemeinschaft.

Außer Acht lassen Stöcklin und die anderen Ostfeld-Verantwortlichen, dass das Ostfeld von drei Schnellstraßen umschlossen ist. Um nicht zu sagen umzingelt. Das ist die A66 nach Frankfurt, die bald auch noch 8-spurig ausgebaut werden soll. [2] Sowie A671 und B455.

„Wie gut kann eine Straßenbahn am Ostfeld sein, dass sie mit dem Auto konkurrieren kann?“ möchte Pfefferkorn wissen.

Am 19. August 2022 fand eine Exkursion zum Ostfeld in Mainz-Kastel statt – im Rahmen des „Großen Frankfurter Bogens“. [3] Warum der Bezug zu Frankfurt? Weil Wiesbaden bzw. das Ostfeld „gut“ an den Frankfurter Hauptbahnhof angebunden sei. Das heißt, erreichbar in einer halben Stunde mit dem Zug.

Aber stimmt das? Wird es vom Ostfeld eines Tages eine gute ÖPNV-Verbindung nach Frankfurt geben? Im Sinn des „Großen Frankfurter Bogens“?

Hierzu ein Gedankenexperiment:

Vom Fort Biehler zum Frankfurter Hauptbahnhof sind es mit dem Auto 26 Minuten. [4] Über die A66, den „Rhein-Main-Schnellweg“ – der Name ist Programm.Der Regionalexpress (RE10) vom Bahnhof Mainz-Kastel braucht ebenso lange. 26 Minuten. Nur zum Bahnhof müsste man erstmal hinkommen und dort dann noch auf die Bahn warten. Umsteigen. Hinkommen und Umsteigen kosten Zeit. Und der Hauptbahnhof ist nur eines von vielen Zielen in Frankfurt und der Region. Wer vom Hauptbahnhof in Frankfurt sein Ziel nicht fußläufig erreicht, muss nochmal umsteigen. Und weitere fünf bis zehn Minuten gehen flöten. Es läppert sich.

Deshalb: „Zu behaupten, eine Straßenbahn würde eine konkurrenzfähige Verbindung vom Ostfeld nach Frankfurt schaffen, stimmt nicht. Alle, die regelmäßig Bus- und Bahnfahren, wissen das. Punkt. Bei der – euphemistisch gesagt – ‚verkehrsgünstigen‘ Lage des Ostfelds bleibt eine Straßenbahn eine Geisterbahn“ schlussfolgert der Sprecher der Aktionsgemeinschaft Pfefferkorn.

„Die Menschen am Ostfeld werden Autofahren. Egal wie ‚autofrei‘ die Trabantenstadt geplant wird“ kritisiert Pfefferkorn.

Und schon endet eine kurze aber fruchtlose Liebe – der große Frankfurter Bogen wird ohne das „Ostfeld“ fortgeführt werden müssen. Zumindest wenn der ÖPNV und nicht das Automobil verbinden soll.

Apropos Frankfurter Bogen: Warum sollen in der Landeshauptstadt Wohnungen für die Mainmetropole entstehen? „Haben wir in Wiesbaden wirklich einen so hohen Bedarf an Menschen die in Frankfurt arbeiten?“ fragt Pfefferkorn.

Ob 2.500 zusätzliche BKA-Bedienstete am Wiesbadener Wohnungsmarkt für Entspannung sorgen?

„Eigentlich sollte doch das Ostfeld für die Wiesbadener*innen bezahlbaren Wohnraum schaffen. Wurde zumindest in der Vergangenheit gerne behauptet. Oder?“ fragt Pfefferkorn. Ganz und gar nicht dazu passen will, dass die Anzahl der Beschäftigten des Bundeskriminalamts (BKA) in Wiesbaden von 4.500 auf 7.000 steigen soll. [5]

BKA-Beschäftigte sind weder die Zielgruppe (seit wann zählen BKA-Bedienstete zu denen, die sozial geförderten Wohnraum, brauchen? Der soll ja am Ostfeld entstehen…) noch wird mit einem zentralen BKA-Standort ein „erhöhter Bedarf an Arbeitsstätten“ gedeckt. [6] Im Gegenteil. Es sind ja keine neuen Arbeitsplätze. Die 2.500 BKA-Angestellten und -Beamten ziehen ja extra für ihre Arbeit nach Wiesbaden. Aus Meckenheim bei Bonn oder aus Berlin. Zumindest die meisten. Neu-Wiesbadener also.

Oder hat Wiesbaden derzeit einen eklatanten Überschluss an arbeitslosen Kriminologen, Polizisten, Kommissaren und Zielfahndern die dringend in Lohn und Brot gebracht werden müssten? „Das ist ein induzierter Wohn- und Arbeitsstättenbedarf“, meint Pfefferkorn.

Das ist nicht die letzte Merkwürdigkeit. Es gibt ja noch den Bahnhof Erbenheim.

Seit wann ist es zukunfts- um nicht zu sagen „enkelsicher“, den Bahnhof in Erbenheim um- aber nicht auszubauen?

Derzeit wird der Bahnhof Erbenheim umgebaut. Gut so. Im Sinn der Barrierefreiheit ein notwendiger Fortschritt. Auch gegen eine neue Beleuchtung und einen etwas längeren Bahnsteig kann niemand etwas sagen. Also alles in Butter? Leider nein. Leider gar nicht.

Denn problematisch wird die Verlegung des Bahnsteigs auf die andere Seite. [7] Schließlich ist, nach dem Citybahn-Aus, der „Ausbau der Ländchesbahn“ in Wiesbaden politisch gewollt. Von allen. Aber was heißt Ausbau?

In erster Linie meint das einen höheren Takt. Das steht aber im krassen Widerspruch zur zukünftig zementierten Eingleisigkeit des Haltepunkts Erbenheim. Warum? Der neue Bahnsteig blockiert die zweite Brücke (ehemals 2. Gleis) über die Berliner Straße. Und ohne ein zweites Gleis im Bahnhof Erbenheim kein 15 Minuten-Takt für die Ländchesbahn. Die Strecke ist nämlich, bis auf eine Ausweichstelle in Igstadt, durchgehend eingleisig. Schade eigentlich. Chance verpasst! Die Anbindung des geplanten BKA-Standorts per Ländchesbahn steht auf tönernen Füßen.

Was denkt die Immobilien-Branche über den Bau-Boom der letzten Jahre?

Dort herrscht Goldgräberstimmung! Und die Branche versucht es noch nicht einmal, damit hinter dem Berg zu halten. Obszön ist das! Bei jetzt schon steigenden Mieten für Normalverdienende und Wertsteigerungen für Immobilieneigentümer“ kritisiert Pfefferkorn.

Es mag ja richtig sein, dass jedes Unternehmen Gewinn machen will. „Aber derart schamlos und ungehemmt?“ ‚Urbane Identitäten – wo sind die Goldnuggets?‘ So wird für eine eintägige Veranstaltung am 20.09.2022 in Wiesbaden geworben. [8]

„Sagt mal, geht’s noch? Mainzer und Wiesbadener Spitzenpolitiker (Manuela Matz und Dr. Oliver Franz, beide CDU) spielen mit. Sie treten bei der Veranstaltung als Redner*innen auf. Für 1.100 Euro Eintrittsgeld!“ kritisiert Pfefferkorn. Mit der Wiesbadener SEG und der Mainzer MAG (Mainzer Aufbaugesellschaft) sind vor allem kommunale Gesellschaften als „Partner“ vertreten. [9]

„Warum sollten beim ‚Ostfeld‘ nicht Profit und Gewinn im Vordergrund stehen?“ fragt Pfefferkorn. „Niemand kann es mehr verhehlen – beim Ostfeld geht es um die ‚Goldnuggets‘. Nicht um Klimaschutz, nicht um nachhaltige Mobilität, bezahlbares Wohnen oder Allgemeinwohl. Das ist alles nur Beiwerk, Beruhigungspille oder Feigenblatt. Es geht ums Geld. Und zwar für diejenigen die 1.100 Euro Eintritt zahlen können. Für einen Tag wohlgemerkt. Es wird Zeit, dass das in der Öffentlichkeit auch so wahrgenommen wird. Insofern: Danke lieber ‚Immobilien-Dialog Wiesbaden & Mainz‘ für den ersten Schritt in die richtige Richtung“ schließt Pfefferkorn.

Wiesbaden, 24. August 2022,

Philipp Pfefferkorn
für die Aktionsgemeinschaft „Hände weg von Os/Ka“

weitere Veröffentlichungen der Aktionsgemeinschaft:
www.buendnis-stadtklima.de/haende-weg-von-oska/


[1] Wiesbadener Kurier vom 23.08.2022 – „Ostfeld-Exkursion bringt Infos zu Nahverkehr und Rahmenplan“

[2] Projektinformation zum Bundesverkehrswegeplan 2030: https://www.bvwp-projekte.de/strasse/A66-G10-HE-T1-HE/A66-G10-HE-T1-HE.html

[3] Im Allgemeinen: https://www.grosser-frankfurter-bogen.de/. Im Speziellen: https://www.grosser-frankfurter-bogen.de/event/busfahrt-am-rhein-main-ufer-und-ostfeld/ vgl. auch Fußnote 1.

[4] Quelle: https://www.google.de/maps/

[5] Vgl. Fußnote 1.

[6] § 165 BauGB, Abs. 3, Ziffer 2, vgl.: https://dejure.org/gesetze/BauGB/165.html
Die Deckung eines erhöhten Bedarfs an Wohn- und Arbeitsstädten ist ein notwendiges Kriterium für eine Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM). Können diese Bedarfe nicht gedeckt werden, z.B. weil es sie nicht gibt, kann eine SEM nicht durchgeführt werden.

[7] https://rp-darmstadt.hessen.de/veroeffentlichungen-und-digitales/oeffentliche-bekanntmachungen/verkehr/eisenbahnen/03052021-modernisierung-des-haltepunkts-wiesbaden-erbenheim

[8] Siehe: https://www.heuer-dialog.de/veranstaltungen/11355/immobilien-dialog-wiesbaden-mainz

[9] Programm: https://www.heuer-dialog.de/api/heuer/cdn/veranstaltung/11355/dokument/218739/Programm%20Immobilien-Dialog%20Wiesbaden%20&%20Mainz%202022.pdf