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Bündnis Stadtklima fordert neue Spielregeln für Gutachtenvergaben

Wiesbaden/Mainz, 3. November 2020

Vorhabenträger wie die SEG sollten keine Umwelt -/Klimagutachten in Auftrag geben dürfen – Unbewusste Ausrichtung an Interessen des Vorhabenträgers führt unter Umständen zu fragwürdigen Ergebnissen

„Das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie teilt die Ansicht, dass Gutachten zu kurz griffen, die Kaltluftströme aus dem Taunus in Richtung Rheintal ausblendeten. Gemeint ist damit eine Ausarbeitung des Büros GeoNET, mit dem die Stadt die Klimafolgen abschätzt.“ Kurz, knapp und sachlich fassen diese Sätze in einem Beitrag zum Ostfeld im Wiesbadener Kurier vom 3. November 2020 das Ergebnis eines HLNUG-Schreibens zusammen.

Bei näherer Betrachtung kommen diese Sätze einem K.O.-Schlag nicht nur für das genannte GeoNET- Gutachten zum Ostfeld gleich. Die Feststellung des HLNUG stellt gleichzeitig auch die gesamte Praxis der Gutachtenvergabe in Wiesbaden in Frage. Denn, wie kann es zu solchen gutachterlichen Diskrepanzen kommen, die dazu führen, dass immerhin eine hessische Landesbehörde so klare Worte findet und das Fehlen „wichtiger Eingangsgrößen“ bemängelt, wenn GeoNET „Kaltluftentstehungsgebiete aus den nördlichen Teilen Wiesbadens und dessen Umland“ nicht berücksichtigt.

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Stellungnahme HLNUG vom 28.09.2020, Seite 1

Schlimm genug, wenn fachliche Inkompetenz der Grund dafür wäre. Schlimmer – aber vielleicht wahrscheinlicher –, wenn hier der unbewusste Wunsch, dem Auftraggeber zu gefallen, ein Treiber gewesen sein sollte.

Das soll nicht heißen, dass die SEG Gefälligkeitsgutachten von privaten Gutachtern einkauft, um ihre Projekte entgegen Umwelt- und Klimaaspekten durchzudrücken. Sehr wohl möglich und wahrscheinlich ist aber, dass der Dienstleister – in diesem Fall GeoNET – seine Gutachten zwar nach bestem Wissen und Gewissen, aber dann doch unbewusst so erstellt, dass sie auf möglichst große Gegenliebe beim Auftraggeber – in diesem Fall der SEG – stoßen können.

Denn was der Auftraggeber will, ist jedem klar, ohne dass es bei der Beauftragung explizit formuliert werden müsste: Er will bauen und dabei auf möglichst wenige Widerstände und Hürden treffen. Das ist erstmal legitim und der Wunsch jedes „Vorhabenträgers“, darum heißt er ja so. Was der Dienstleister will, ist auch klar: Gute Arbeit abliefern und dabei vor allem den Kunden zufriedenstellen. Auf beiden Seiten also absolut berechtigte Interessen.

Aber ist dieses Modell, das in der privaten Wirtschaft so gut funktioniert, wirklich geeignet, um kommunale Projekte fair und ergebnisoffen abzuwägen? Sicherlich könnte eine unbewusste Ausrichtung an Interessen des Vorhabenträgers vermieden werden, wenn er nicht gleichzeitig auch Auftraggeber von Gutachten ist, die über die Umsetzbarkeit seines Vorhabens entscheiden.
Städtische Ämter wären daher die besseren (weil neutraleren) Auftraggeber als mit Gewinnzielen arbeitende Gesellschaften.

Das Bündnis Stadtklima verlangt darum ein Umdenken in der Kommunalpolitik. Es ist an der Zeit, dass mindestens diejenigen Parteien und Wählergruppen, die sich Umwelt- und Klimaschutz auf die Fahnen schreiben, hier klare Forderungen formulieren. Ein erster Schritt, um das oft kritisierte „Wegwiegen“ von Umweltbelangen gegenüber wirtschaftlichen Interessen zu stoppen, wäre es, wenn Umweltgutachten von den Fachämtern – in diesem Falle dem Umweltamt – in Auftrag gegeben werden. In Sachen Fachkompetenz dürfte nichts gegen diesen Schritt sprechen.