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Stadtentwicklung Ostfeld/Kalkofen -Positionspapier HGON AK WI-RTK

Dieser Beitrag wurde verfasst vom AK Wiesbaden-Rheingau-Taunus-Kreis der Hessischen Gesellschaft für Ornitologie und Naturschutz e.V. (HGON) und kann hier als .pdf herunter geladen werden.


Wiesbaden, 17.11.2017

HGON Arbeitskreis Wiesbaden Rheingau Taunus,
Vorsitzender Ingo Hausch

Stadtentwicklung Ostfeld/Kalkofen Infotag der SEG am 17.11.2017

Positionspapier des HGON Arbeitskreises Wiesbaden-Rheingau-Taunus-Kreis

Die Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz e. V. ist ein gesetzlich anerkannter Naturschutzverband. Zweck der HGON ist die Erforschung der Lebensweisen und –bedingungen von freilebenden Vögeln, aber auch von anderen Tieren sowie von Pflanzen in Hessen auf wissenschaftlicher Grundlage. In gemeinnütziger Weise betreibt die HGON gleichzeitig den umfassenden Schutz der Lebensräume freilebender Tier- und Pflanzengesellschaften. Schwerpunkte der Arbeit des HGON-Arbeitskreises Wiesbaden-Rheingau-Taunus bilden feldornithologische Erfassungen, vogelkundliche Führungen und Vorträge, die Herausgabe eines Ornithologischen Jahrbuches, Biotoppflegemaßnahmen sowie die Mitarbeit in den Naturschutzbeiräten beider Kreise. Bei gesetzgeberischen Verfahren und öffentlichen Vorhaben beteiligt sich der HGON-AK regelmäßig mit teils umfangreichen Stellungnahmen zu naturschutzrelevanten Punkten.

Zu der von der Landeshauptstadt Wiesbaden geplanten Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme „Ostfeld/ Kalkofen“ wurde der HGON-AK von Seiten der Projektleitung angesprochen, sich am Planungsprozess zu beteiligen. Auf der Auftaktveranstaltung zur Bürgerbeteiligung am 17.11.2017 präsentiert der AK in der Themeninsel Naturschutz seine Kenntnisse zu dem Plangebiet. Diese Präsentation stellt einen eigenständigen Beitrag dar und wurde nicht vorab mit anderen Projektbeteiligten/Verbänden abgestimmt.

Inhaltlich wird auf folgende Punkte eingegangen:

  • Ergebnisse der avifaunistischen Erfassungen im Plangebiet, speziell im Steinbruch Kalkofen und im Bereich des Cyperusparks
  • Darstellung des aktuellen raumplanerischen Status im Plangebiet
  • Ausweisung der für den Arten- und Naturschutz besonders wertvollen Bereiche im Plangebiet
  • Forderungen an das Projekt aus naturschutzfachlicher Sicht

Dieser Beitrag ist ein erster Ansatz, der im Verlaufe des Planungsprozesses und nach Vorliegen aktuell noch ausstehender Informationen bei Bedarf weiter konkretisiert wird.

Die Landeshauptstadt Wiesbaden hat sich in vielfältiger Weise zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung bekannt. Ausdruck finden dies in den Bemühungen zum Klimaschutz, aber auch in den raumplanerischen Festlegungen im Flächennutzungsplan und im Landschaftsplan.

Die darin für das Plangebiet ausgewiesenen vielfältigen Schutzziele unterstreichen den besonderen Charakter des Gebietes insbesondere auch für die Natur und die Landwirtschaft. Daneben kommt dem Gebiet eine herausragende Funktion für das Stadtklima zu, da fast die gesamte Fläche für die Kaltluftentstehung und den Frisch- und Kaltlufttransport bedeutsam ist.

Der HGON-AK Wiesbaden-Rheingau-Taunus sieht die geplante Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme im Gebiet Kalkofen/Ostfeld grundsätzlich problematisch, aus folgenden Gründen:

  • Verlust offener, landwirtschaftlich genutzter Flächen
  • Konflikte mit den im Landschaftsplan der LH Wiesbaden ausgewiesenen wertvollen Lebensräumen
  • Konflikte mit dem Artenschutz und der im Landschaftsplan der LH Wiesbaden vorgesehenen Biotopvernetzung
  • Konflikte mit der im Landschaftsplan der LH Wiesbaden ausgewiesenen und als unverzichtbar bzw. hoch bewerteten Bedeutung des Gebietes für die Belüftung und Frischluftversorgung Wiesbadens
  • Veränderung des Stadtbildes

Die bis zum jetzigen Zeitpunkt bekannten Informationen zum Projektumfang sind nicht ausreichend, um die Auswirkungen des Vorhabens auf die verschiedensten Schutzgüter bzw. die auf dem Gelände liegenden vielfältigen Funktionen einschätzen zu können. Daher kann zum jetzigen Zeitpunkt keine detaillierte Stellungnahme zu dem Vorhaben bezogen werden.
Es besteht jedoch die allgemeine Befürchtung, dass das Plangebiet für die vorgesehenen Wohn- und Gewerbe-/Industriegebiete massiv verändert wird und dass u.a. für die erforderliche(n) neuen Straßenanbindung(en) möglicherweise zusätzliche – auch naturschutzfachlich sensible – Flächen in Anspruch genommen werden müssen.

Aus naturschutzfachlicher Sicht wertvolle bzw. besonders wertvolle Bereiche im Plangebiet sind der ehemalige Steinbruch Kalkofen, das Wäschbachtal, der Bereich entlang Unterem und Oberen Zwergweg, das Wäldchen am Fort Bieler, weitere Randbereiche sowie auch Flächen innerhalb des Deponiegeländes. Die landwirtschaftlich genutzten Flächen bieten Nahrungsgrundlage besonders für Großvögel wie Weißstorch, Schwarzmilan, Graureiher, Mäusebussard.

In den geltenden Raumordnungsplänen finden sich für das Plangebiet folgende Funktionen und Schutzzielen, die dem Vorhaben (eigentlich) entgegenstehen:

  • Landesentwicklungsplan (LEP): Vorranggebiete bzw. Vorbehaltsgebiete für Natur und Landschaft.
  • Landschaftsplan der LH Wiesbaden – Planungskarte: die gesamten Fläche ist mit verschiedenen Schutz- und Entwicklungszielen belegt: Verbesserung der Biotopverbundsituation von Feuchtlebensräumen, Schutz und lebensraumtypische Entwicklung von Freiflächen für den innerstädtischen Arten- und Biotopschutz, Schutz und lebensraumtypische Entwicklung der Trockenlebensräume mit höchster Bedeutung, Schutz von Ackerflächen mit hoher Wertigkeit für die ackerbauliche Nutzung, Schutz von Grünlandflächen mit hoher Wertigkeit für die Nutzung als Grünland.
    Im Zusammenhang mit dem Vorhaben erscheint dieses Schutzziel in einem besonderen Licht: Schutz von Schwerpunktbereichen für die Umsetzung von Kompensationsmaßnahmen für größere Bauprojekte.
  • Landschaftsplan der LH Wiesbaden – gesetzlich geschützte Flächen: Wäschbachtal, Wäldchen am Fort Bieler (ND), Hesslerhof am Unteren Zwerchweg (Denkmalschutz)
  • Landschaftsplan der LH Wiesbaden – Raumwiderstand gesetzlich geschützte Flächen: aufgrund von Arten- und Biotopschutz, Klima- und Auenschutz, Archivfunktion von Böden und Geotopen, Regenerationsfunktion des Grundwassers, Landwirtschaft, Landschaftsbild, Freiraumfunktionen der Regionalplanung und aus Gründen der ruhigen Erholung fällt die Einstufung des sog. Raumwiederstandes (negativ im Sinne von Restriktion und Empfindlichkeit gegenüber Eingriffen und Beeinträchtigungen) von mittel bis sehr hoch aus.
  • Landschaftsplan der LH Wiesbaden – Vorrangflächen Stadtklima: mit Ausnahme weniger Bereiche haben die Flächen im Plangebiet eine unverzichtbare oder erhebliche Bedeutung für die Belüftung bzw. Frischluftversorgung Wiesbadens. Dazu kommen Flächen mit besonderen Vorbelastungen und (thermischen) Gefährdungsempfindlichkeiten. Auf Flächen mit unverzichtbarer Bedeutung (…) müssen oder sollen Umnutzungen baulicher Art ausgeschlossen bleiben.
  • Landschaftsplan der LH Wiesbaden – Biotopvernetzung: für Wald-, Feucht-, Trocken- und Siedlungsgeprägte Lebensräume sowie Kulturlandschaften werden Kernzonen, Vernetzungskorridore, Trittsteine und Vernetzungsachsen dargestellt.
  • Flächennutzungsplan: Flächen für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft
  • Regionalplan: Vorranggebiete für den Abbau oberflächennaher Lagerstätten ,für regionale Grünzüge, für Natur und Landschaft, Vorbehaltsgebiete für besondere Klimafunktionen

Die Summe all dieser Festlegungen bzw. Feststellungen müsste eigentlich das Aus für jegliche bauliche Überplanung des Gebietes bedeuten.

Umgekehrt bedeuten die angedachten Planungen die Aufgabe einer Vielzahl der aktuell festgelegten Schutzziele und möglicherweise auch Eingriffe in wesentliche Wirkfunktionen des Gebietes.

Wenn dies politisch gewollt ist, sollte das den Bürgern unmissverständlich gesagt werden.

Die Zielsetzung für einen „ausgewogenen Mix aus Wohnen, Arbeiten, Freiflächen und Biotopen“ kann es für die beiden zuletzt genannten Punkte – einschränkend unter dem Vorbehalt des aktuellen Kenntnisstandes, aber doch lt. Projektumfang zu erwarten – nicht geben. Nebenbei: wer legt fest und beurteilt, was hier als „ausgewogen“ anzunehmen ist?

Auch die Bewerbung des Vorhabens durch den Oberbürgermeister der LH Wiesbaden als „Riesenchance“ und „einmalige Perspektive“ sollte relativiert werden: die Chance besteht zunächst im Vorhandensein freier Flächen, wie es sie auch noch an anderen Stellen im Stadtgebiet gibt. Die Ergebnisse der bis Ende 2018 stattfindenden Voruntersuchungen müssen zeigen, ob diese eine (rechtlich) ausreichende Grundlage für eine solche Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme begründen.

Sollte sich das bestätigen und es anschließend zu der Planungsphase kommen, fordert der HGON-AK folgende Punkte zu berücksichtigen:

  • Erhalt und möglichst Aufwertung und Ausweitung von Biotopen und Biotopvernetzungsstrukturen
  • Ausgleichsmaßnahmen für die überbauten Flächen und weitere Beeinträchtigungen
  • eine Bebauung unter ökologischen Gesichtspunkten
  • die Minimierung der Versiegelung von Freiflächen (Straßen, Parkplätze)*
  • Vermeidung von zusätzlichen Schadstoffemissionen in Luft, Boden und Wasser*
  • Sicherung der klimaökologischen Funktionen
  • Erhalt und Entwicklung als Erholungslandschaft
  • Vermeidung von Zersiedlung und Landschaftszerschneidung durch neue Verkehrswege*

* dies betrifft vor allem das Verkehrskonzept: ÖPNV vor Individualverkehr

Für eine Einschätzung des Vorhabens und um detailliert Stellung nehmen zu können, sind vorab u.a. folgende Informationen erforderlich:

Gebiet Kalkofen

  • soll hier das geplante Wohngebiet errichtet werden?
  • es wird von einem neuen Stadtteil gesprochen: welche Art der baulichen Nutzung im Sinne der BauNVO ist danach vorgesehen: reines Wohngebiet, allgemeines Wohngebiet, Mischgebiet?
  • welche öffentlichen Einrichtungen sind vorgesehen, Stichwort: Urbanität?
  • von welcher baulich genutzten Gesamtfläche ist auszugehen?
  • welche Gesamtfläche für Straßen, Wege, (Park)-Plätze kommen noch dazu?
  • es gibt bislang unterschiedliche Angaben zur Zahl der Einwohner (EW) und der Wohneinheiten (WE): von welchen Annahmen wird als Planungsgrundlage ausgegangen?

Gebiet Ostfeld

  • soll das 50 ha großes Gewerbe-/Industriegebiet hier entstehen?
  • soll das G/I-Gebiet innerhalb oder außerhalb des die Deponie umgrenzenden Zaunes errichtet werden?
  • ist das G/I-Gebiet auf einer der ELW gehörenden Fläche vorgesehen?
  • welches Gewerbe / welche Industrie soll hier angesiedelt werden, gibt es dazu Vorfestlegungen oder bereits Interessenten?

Erschließung

Laut Aussage der Landesbehörde Hessen Mobil soll es keine Anbindung an die das Plangebiet umgebenden Bundes- und Landesstraßen geben. Dies berücksichtigend wurden bereits mögliche Zuwegungen angedacht (Fünf Straßen sollen zu dem neuen Stadtviertel in Wiesbaden führen, WK 05.09.2017).

  • ergeben sich daraus wesentliche Vorfestlegungen in Bezug auf die Flächenaufteilung?
  • soll es eine verkehrliche Verbindung zwischen Kalkofen und Ostfeld geben (über/unter der A66)?
  • zusätzlich soll ein Ast der geplanten Citybahn in das Gebiet führen: welche möglichen Trassenführungen sind angedacht?
  • Ver- und Entsorgung: Wasser, Abwasser, Strom, Gas?, Fernwärme?:
    ist zu erwarten, dass hierfür zumindest temporär weitere Flächen im Plangebiet in Anspruch genommen werden (müssen)?

Finanzierung

Das Vorhaben ist als Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme nach § 165 ff. BauGB angelegt, um durch den Verkauf von Grundstücken die von der Stadt zu tragenden Infrastrukturkosten refinanzieren zu können. Eine Schätzung geht von 400 – 500 Mio Euro aus.

  • Welche Fläche ist erforderlich / muss verkauft werden, um aus dem Verkaufserlös die gesamten Infrastrukturkosten zu finanzieren?
  • Wenn das G/I-Gebiet auf der ELW gehörenden Flächen errichtet wird: sollen Flächen verkauft werden, um damit Kosten der Deponieerweiterung (Klasse 1) und der Recyclinganlage zu finanzieren, oder fließt der Erlös in die Finanzierung der Infrastrukturkosten mit ein?

Planung

  • welches sind aus Sicht der Stadt die wesentlichen Planungskriterien?
  • wie ist das Vorhaben in das Stadtentwicklungskonzept wisek2030+ eingebunden? (Dokumentation aller das Plangebiet betreffenden Inhalte aus dem wiesek2030+-Konzept)
  • in einer Präsentation zum Vorhaben wird eine zentrale Grünachse als Planungsziel genannt: gibt es dazu bereits eine Festlegung/Idee, wo diese Grünachse verlaufen soll?
  • wie soll diese Grünachse gestaltet werden?

Einschätzungen der LH Wiesbaden zum Vorhaben

  • welche Beeinträchtigungen durch eine (Teil-) Bebauung und Flächenversiegelung sind in diesen Bereichen zu erwarten, insbesondere in Bezug auf:
    • Biodiversität, Artenschutz, Biotopschutz, Biotopvernetzung und Grünverbindungen
    • Bodenschutz, CO2-Speicherung, Wasserfiltration und Regenrückhaltung
    • [stadtnahe] Erzeugung von Nahrungsmitteln
    • Klimaökologie und Luftreinhaltung
    • Naherholung und Freizeit
  • wie schätzt die Stadt die Auswirkungen des Verlusts von Agrarflächen für die örtliche Landwirtschaft ein? Bei aktuellen Stadtentwicklungen – Bierstadt Nord, Hainweg Nordenstadt – werden bereits größere landwirtschaftliche Flächen aufgegeben.
  • wie schätzt die Stadt die verkehrlichen Auswirkungen des neuen Stadtteils ein – ist gesamtstädtisch gesehen von einer Mehrbelastung insbesondere durch Autoverkehr auszugehen?
  • wie schätzt die Stadt die Möglichkeit ein, quantitative Verluste an wertvollen Freiflächen durch qualitative Aufwertungen von verbleibenden Freiflächen (möglichst im Gebiet) auszugleichen?

Wie geht es weiter?

Dieses Positionspapier und die auf der Auftaktveranstaltung präsentierten Folien stellt der HGON-AK gerne als PDF-Dateien zur Verfügung

Wer unsere Position zum Vorhaben unterstützt und sich zusammen mit uns im weiteren Planungsprozess engagieren möchte, ist herzlich dazu eingeladen. Die Kontaktdaten finden Sie auf der Seite des AK Wiesbaden-Rheingau-Taunus der HGON.