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Ostfeld-Westfeld Update 41 vom 1. Oktober 2023 – Schwerpunkt Klagebefugnis BUND

Hallo zusammen!

Die einen genießen den Spätsommer, die anderen beklagen den wärmsten September seit annodunnemal – beide haben irgendwie recht.

Heute, während ich schreibe, ist Erntedank. Und das passt gut! Ich persönlich Danke auch der Ernte: der Ernte von vielen engagierten Menschen beim BUND, insbesondere Jochen Kramer, Mitglied im Landesvorstand BUND Hessen, und vielen engagierten Juristen/Rechtsanwälten, die sie vertreten und für unsere Umwelt kämpfen.

Am 28. September 2023 hat das Bundesverwaltungsgericht über das Klagerecht von BUND & Co (die anderen Umwelt- und Naturschutzverbände) bei Zielabweichungsverfahren entschieden. Ein Erfolg für die Umwelt! Dazu sofort mehr.

Unsere Themen heute:

  • Bundesverwaltungsgericht verhandelt am 28.09.2023 erneut über Klagerecht von Umwelt- und Naturschutzverbänden bei Zielabweichungsverfahren: Erfolg!
  • Termine: Westfeld-Fest am 7.10.23 und Landtagswahl am 8.10.23
  • Blick über den Tellerrand: (WiKu 28.9.23) Kinder klagen auf Klimaschutz

Eine Einschätzung des Urteils vom BVerwG, AZ 4 C 6.21 vom 28.09.2023

Die erste Frage lautet: was hat dieses Urteil mit dem Wiesbadener Ostfeld zu tun? Das fragliche Urteil beschäftigt sich schließlich mit einem Logistikzentrum von Rewe in Wölfersheim, Wetterau. Wölfersheim plante die Festsetzung eines Gewerbegebiets für das Logistikzentrum von Rewe. Im Regionalplan war das betroffene Gebiet als Vorrangfläche für Landwirtschaft, Grünflächen und Sportanlagen ausgezeichnet. Daraufhin wurde ein Zielabweichungsverfahren vom RP Darmstadt angestrengt – und zugelassen. Dagegen zog der BUND Hessen vor Gericht. Die beiden Instanzgerichte sprachen dem BUND die Klagebefugnis ab. Der Zielabweichungsbescheid könne rechtlich nicht angegriffen werden.

Und jetzt kommt das Ostfeld. Der BUND Hessen hat am 22. Oktober 2021, also vor rund zwei Jahren, vor dem Verwaltungsgericht in Wiesbaden Klage gegen den Zielabweichungsbescheid des RP Darmstadt erhoben, mit dem der RP Wiesbaden das Abweichen von Zielen des Regionalplans 2010 erlaubt. Also dem Grunde nach dem Wölfersheim-Fall sehr ähnlich: zunächst ist zu klären, ob der BUND Hessen überhaupt klagebefugt ist. Und das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat entsprechend reagiert. Mit Verfügung vom 25.10.2021 hat das VG Wiesbaden mitgeteilt, dass es beabsichtigt das Verfahren ruhen zu lassen, bis das Wölfersheimer-Verfahren in Leipzig entschieden ist, da dieses „vorgreiflich sein dürfte“.

Die Entscheidung liegt nun vor! Hier der Link zur Pressemitteilung des BVerwG: Pressemitteilung Nr. 72/2023 | Bundesverwaltungsgericht (bverwg.de) Und die Headline lautet:

„Umweltvereinigung kann gegen die Zulassung einer Abweichung von den Zielen eines Regionalplans klagen“.

Pressemitteilung Bundesverwaltungsgericht

Der BUND freut sich zu Recht über diesen Erfolg. Aber nur zu, sagen wir, 80%. Weil das BVerwG die Frage, ob in Wölfersheim ein (wesentlich aufwendigeres) Planfeststellungsverfahren statt eines Zielabweichungsverfahren hätte durchgeführt werden müssen, an den VGH in Kassel zurückverweist und nicht selbst entscheidet. Das gibt den Befürwortern des Logistikzentrums schon wieder Aufwind: „Das ist ja nur eine Prüfung mehr.“ Wir werden sehen.

Jedenfalls wird das VG Wiesbaden jetzt das Verfahren Ostfeld wieder aus der in die gebrachte Ruhe bringen (müssen). Natürlich bleibt die Urteilsbegründung aus Leipzig abzuwarten, aber darauf wird es zumindest hinauslaufen: Fortsetzung des Verfahrens.

Insofern bleibt die erste Einschätzung von SEG-Cool Roland Stöcklin „Es tangiert uns null“ (siehe Artikel unten) schon fast kindisch-hilflos an. Wenn die Titanic am Bug ein Leck durch einen Eisberg schlägt, geht auch das Heck unter. Und wenn die Rechtswidrigkeit des Ostfeld-Zielabweichung rechtskräftig festgestellt würde, dann Gute Nacht Projekt!

Worauf kommt es im Gerichtsverfahren inhaltlich an?

Im April 2021 hat die Fraktion der Grünen in der Regionalversammlung (die tatsächlich gegen die Bebauung des Ostfelds ist!) die Kanzlei Philipp-Gerlach und Teßmer, Frankfurt, mit einem Gutachten beauftragt:

Rechtliche Stellungnahme zum Antrag auf Zielabweichung „Ostfeld“ der Landeshauptstadt Wiesbaden“. Der Schlüsselsatz des 47-Seiten starken Gutachtens:

„Die Voraussetzung, dass die Satzung dem Wohl der Allgemeinheit dient, lag nicht vor, da Ziele des Regionalplans Südhessen 2010 dieser Entwicklungsmaßnahme entgegenstehen.“

Gutachten: „Rechtliche Stellungnahme zum Antrag auf Zielabweichung ‚Ostfeld‘ der Landeshauptstadt Wiesbaden“, Kanzlei Philipp-Gerlach und Teßmer, Frankfurt/M

Zum vertieften Einlesen habe ich zwei Dokumente attached: Ein Hintergrundpapier des BUND zum Verfahren Wölfersheim in Leipzig (veröffentlicht vor dem Urteil) und die Zusammenfassung des Gutachtens für die Grüne Fraktion in der RVS. Wer das komplette Gutachten lesen möchte, wende sich bitte an mich.

Ganz vereinfacht wird die Zielabweichung in den Augen des BUND missbraucht und von der Ausnahme zur Regel gemacht. Wenn der Regionalplan so gravierend geändert werden soll wie in Wölfersheim oder eben im Ostfeld, dann bitte im ordentlichen Planfeststellungsverfahren und nicht mit dem Notinstrument Zielabweichungsverfahren.

Ein vorläufiges Fazit überlasse ich Jochen Kramer, Mitglied im Landesvorstand des BUND-Hessen:

„In einer ersten Bewertung sind wir sehr froh über die Entscheidung. Die Entscheidung hat eine hohe und grundsätzliche Bedeutung im Umweltrecht. Mit dem Erfolg der Klage des BUND Hessen können nun Abweichungsentscheidungen von Regionalplänen durch anerkannte Umweltvereinigungen zur gerichtlichen Kontrolle gestellt werden…“

Pressemitteilung BUND Hessen, 28. September 2023

Jedenfalls eröffnet sich in Wiesbaden jetzt eine weitere Ostfeld-Front für den Magistrat und die SEG: Ein weiteres Gericht, das Verwaltungsgericht in Wiesbaden, beschäftigt sich mit der Rechtmäßigkeit des Projekts. Und es gibt ja noch die beiden Normenkontrollklagen vor dem Verwaltungsgerichtshof in Kassel. In Wiesbaden geht es dann ja erst inhaltlich los. Erstinstanzlich. Der Rechtsweg könnte dann über Kassel auch nach Leipzig führen. Das dauert dann wieder Jahre.

Kapital ist ein scheues Reh, sagt ein Sprichwort. Bei allen juristischen Bedenken stellt sich dann langsam auch die Frage, ob die Investoren und Banken noch an das Projekt glauben und es überhaupt noch finanzieren dürfen.

Es bleibt spannend!

Urteil mit Signalwirkung für Kastel?

Mainzer Allgemeine Zeitung vom 30.9.2023

Bundesverwaltungsgericht bremst Rewe-Projekt in Wölfersheim aus

Frankfurter Neue Presse vom 28.9.2023

Umweltverbände können gegen Zielabweichungen klagen

Neue Juristische Wochenschrift vom 29. September 2023

Jugendliche verklagen Staaten auf Klimaschutz

Mainzer Allgemeine Zeitung 27.09.2023

Und dann war da noch:

Wiesbaden-Grund-zum-Leben-Petition-Flaechennutzungsplan-Wiesbaden_FNP2040

Einer geht noch! Oder besser: viele. Die Zeichnungsfrist wurde bis Dezember verlängert. Um das Pulver nicht vorschnell zu verschießen. Der Magistrat hängt mit dem FNP…

Bleibt streitbar! Und geht am 8. Oktober wählen! Wen ihr wählen sollt? Gute Frage! Mein Orakel: Hessen 2023 | Wahl-O-Mat

Herzlicher Gruß
Ronny Maritzen

PS: Teilen und Feedback, auch Themenvorschläge, erwünscht und willkommen. Ein Blick ins Update-Archiv gibt es hier: https://www.buendnis-stadtklima.de/ostfeld-update/


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